Bergen Belsen kl 01Gymlil-Delegation besucht Gedenkveranstaltung in Bergen-Belsen

Am 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion - Beginn eines beispiellosen Vernichtungskriegs.

Anlässlich des 75. Jahrestages besuchten Schüler aus dem H-Kurs Geschichte von Herrn Müller und der Politik AG von Herrn Egbers eine Gedenkveranstaltung auf dem Kriegsgefangenenfriedhof Hörsten.

Bergen Belsen kl 03Die Veranstaltung wurde von der AG Bergen Belsen u.a. mit Schülerinnen und Schülern der Realschule Munster gestaltet. Die Teilnahme der Lilienthaler Delegation wurde in Kooperation mit Herrn Egge vom Verein Gegen Vergessen - Für Demokratie organisiert. Neben der eigentlichen Gedenkveranstaltung, aus der wir im Folgenden die Rede des Leiters der Gedenkstätte Bergen-Belsen, Dr. Jens-Christian Wagner, dokumentieren möchten, gab es Gelegenheit Orte zu besuchen, die an die mehr als 70.000 Menschen erinnern, die hier zwischen 1941 und 1945 ermordet wurden.

Jens-Christian Wagner

Begrüßung Gedenkveranstaltung Kriegsgefangenenfriedhof Bergen-Belsen, 21.6.2016

Bergen Belsen kl 02Sehr geehrte Damen und Herren,

seitens der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten und der Gedenkstätte Bergen-Belsen begrüße ich Sie sehr herzlich auf dem Kriegsgefangenenfriedhof Bergen-Belsen.

Am 22. Juni 1941, morgen vor 75 Jahren, überfiel die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion. Es folge ein beispielloses Morden. Millionen sowjetische Soldaten gerieten in deutsche Kriegsgefangenschaft. Die meisten starben an den Folgen von Hunger und Entbehrungen. Aber auch die Zivilbevölkerung in der damaligen Sowjetunion musste leiden: Ganz bewusst ließen die deutschen Besatzer, die die einheimische Bevölkerung als slawische „Untermenschen“ wahrnahmen, die Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten hungern und allzu oft verhungern, denn das entsprach ihren Germanisierungs- und Kolonisierungsplänen. Bergen Belsen kl 05Miliionen Menschen, vor allem Frauen und Mädchen, brachten sie als Zwangsarbeiterinnen in das Deutsche Reich. Am schlimmsten traf es die einheimische jüdische Bevölkerung: Den im Sommer und Herbst 1941 vorstürmenden deutschen Soldaten folgten die Einsatzgruppen des SD und der SS, die Hundertausende Juden hinter der Front zusammentrieben und brutal erschossen. Dasselbe Schicksal traf tatsächliche oder vermeintliche Partisanen und die sog. Kommissare der Roten Armee.

Bergen Belsen kl 04Der Antisemitismus und der Antibolschewismus, der zusätzlich antislawisch aufgeladen war, bildeten die zentralen ideologischen Triebfedern der NS-Verfolgungs- und Vernichtungspolitik. Hier, in Bergen-Belsen, kann man eindringlich nachvollziehen, welche Folgen diese Politik hatte: Wir stehen hier an den Gräbern von 20.000 Kriegsgefangenen, mehrheitlich aus der damaligen Sowjetunion. Die meisten von ihnen starben im Winter 1941/42 im Kriegsgefangenenlager Bergen-Belsen an den Folgen von Hunger, Durst, Seuchen, Kälte und Misshandlungen durch ihre Wehrmachts-Bewacher.

Insgesamt starben nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 innerhalb weniger Monate mehr als zwei Millionen sowjetische Kriegsgefangene in deutschem Gewahrsam. Vielen in Deutschland ist das Ausmaß dieses Massenmords, so muss man die Verbrechen an den sowjetischen Kriegsgefangenen bezeichnen, noch immer nicht bewusst. Auch heute, 25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges, gehören die sowjetischen Kriegsgefangenen zu den oftmals vergessenen, besser: verdrängten Opfern des nationalsozialistischen Rassenwahns und ihres mörderischen Antibolschewismus.

Bergen Belsen kl 06Heute gedenken wir der ermordeten Kriegsgefangenen, der Millionen Opfer des deutschen Raub- und Vernichtungskrieges in Polen und in der ehemaligen Sowjetunion sowie in vielen anderen Ländern Europas, der Opfer der Besatzungspolitik und der Zwangsarbeit. Zugleich denken wir auch an die alles andere als rühmliche Nachgeschichte dieses Dramas nach 1945: Von Deutschland wurde den sowjetischen Opfern die Anerkennung bis zum Ende des Kalten Krieges weitgehend verweigert. Aber auch in der Sowjetunion wurde den überlebenden Kriegsgefangenen, KZ-Häftlingen und zivilen Zwangsarbeitern die Würdigung vorenthalten. Sie galten im Stalinismus und auch danach noch vielfach als Kollaborateure. Zumindest war es verdächtig, dass sie in den Händen der Feinde überlebt hatten.

Es liegt an uns, dass weder das menschliche Leid noch die skandalöse Behandlung der Überlebenden nach 1945 vergessen werden, und es liegt an uns, dass wir uns wach und kritisch mit den Ursachen auseinandersetzen, die zu Ausgrenzung, Verfolgung und Massenmord im Nationalsozialismus geführt haben – und das nicht nur an Gedenktagen wie dem heutigen, sondern auch an den übrigen 364 Tagen im Jahr.

Bergen Belsen kl 07Der AG Bergen-Belsen und dem Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge danke ich, dass sie die heutige Gedenkveranstaltung organisiert haben. Es ist gut zu wissen, dass wir uns als hauptamtliche Gedenkstättenmitarbeiter auf die Unterstützung bürgerschaftlichen Engagements verlassen können. Dafür möchte ich mich ausdrücklich sehr bedanken! Das gilt auch für die Schülerinnen und Schüler aus Munster, die die heutige Gedenkveranstaltung maßgeblich inhaltlich gestalten. Vielen Dank!

Abschließend möchte ich Sie herzlich einladen, morgen Abend um 20:30 Uhr mit uns im Kino am Raschplatz in Hannover den Film „Der unbekannte Soldat“ von Michael Verhoeven anzusehen. Er thematisiert den Raub- und Vernichtungskrieg der Wehrmacht im Osten, und er fragt nach der individuellen Verantwortung, wenn nicht Schuld der deutschen Soldaten. Auch das ist ein Thema, das uns alle angeht.

Sehr geehrte Damen und Herren, Ihnen allen wünsche ich einen beeindruckenden und einen würdigen Gedenktag. Haben Sie Dank, dass Sie hier sind.